„Das Kriegsende hat mich sehr geprägt“, sagte Dr. Bernd von Bülow in seinem Interview. Als Elfjähriger erlebte er 1945 die dramatische Flucht seiner Familie vor der Roten Armee in Westpreußen. Damals empfand er die Flucht zunächst als Abenteuer und Herausforderung. Doch die wochenlange Trennung von den Eltern durch einen falsch abgebogenen Pferdewagen, die Toten am Wegesrand, der Verlust der Heimat – vor allem der Beziehungen zu Nachbarn und Freunden – hinterließen tiefe Spuren in seiner Seele. Ihm half es, das Erlebte aufzuschreiben. Erstmals tat er dies mit 13 Jahren. Aus diesen Aufzeichnungen und denen seines Vaters entstand später das Buch „Vor dem Ende des Krieges. Fluchtberichte von 1000 km Pferdetreck aus Zurawia nach Holstein“, das noch erhältlich ist. Sein Leben lang beschäftigte sich Dr. Bernd von Bülow mit dem Kriegsende in Literatur, Film- und Bildmaterial, verfasste dazu selbst Artikel und Bücher.
Nach Unterzeichnung des Warschauer Vertrags 1970 normalisierten sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen, auch Reisen waren wieder möglich. So besuchte Dr. Bernd von Bülow 27 Jahre nach Kriegsende erstmals wieder seine Heimat. „Seit 1972 bin ich über zwanzigmal in Polen gewesen, und es sind tiefe Freundschaften gewachsen. Die Heimatvertriebenen sind die Botschafter des Friedens im Osten“, stellte er fest, als ich ihn 2016 in seinem Wohnzimmer in Lippramsdorf für meine Artikelserie und Wanderausstellung „Schau mich an – Gesicht einer Flucht“ interviewte.
Ich hatte großen Respekt vor diesem beeindruckenden Westpreußen. Denn vor mir saß ein ausgewiesener Kenner der damaligen Lage und der politischen Entwicklungen seit dem Kriegsende, ein Aktivist für Völkerverständigung. Nach diesem ersten noch recht distanzierten Zusammentreffen näherten wir uns an, tauschten uns ab und zu über unsere Recherchen und Interviews aus.
So scheute ich mich nicht, ihn vor zwei Jahren um ein Interview vor der Videokamera für unser Projekt zu bitten. Er ist einer der ältesten Zeitzeugen unter unseren Interviewpartnern der Migrationsgeschichten. Vor drei Wochen haben wir zuletzt miteinander telefoniert. In seiner nächsten Recherche wollte er herausfinden, was die Menschen in der ehemaligen Provinz Posen 1943/1944 vom Vordringen der Russen gewusst haben können, ohne Fernseher mit zentral kontrollierten Radionachrichten. Auch über den Krieg in der Ukraine sprachen wir. Die Ereignisse dort weckten in ihm viele Erinnerungen an 1945.
Am Sonntag ist Dr. Bernd von Bülow im Alter von 89 Jahren verstorben.
Das Kinderfoto zeigt Bernd von Bülow ungefähr in dem Alter, in dem er fliehen musste. Das große Bild entstand 2020 bei den Video-Aufnahmen.
Gerburgis Sommer